Freikirche - Was ist das?

Was ist eine Freikirche?b-808
Als Freikirchen werden christliche Kirchen bezeichnet, die sich als Freiwilligkeitskirche organisiert haben. Im Gegensatz zu den Landeskirchen treten ihre Mitglieder auf Grund einer freien Entscheidung im religionsmündigen Alter bei und nicht durch Geburt. Ausserdem sind sie frei von staatlichen Abhängigkeiten und finanzieren sich durch freiwillige Spenden ihrer Mitglieder. Sie vertreten eine evangelikale Theologie, wie sie zum Beispiel in der Lausanner Verpflichtung definiert ist, die sich auf die Bibel als alleinige Glaubensgrundlage beruft und sich gegen blosse kirchliche Traditionen einerseits und gegen Säkularisierung andererseits abgrenzt.Das klassische, protestantische Freikirchentum hat seine Wurzeln in der Schweiz und ist bald 500 Jahre alt.2 Der Zürcher Kirchenhistoriker Fritz Blanke schreibt mit Blick auf die Täuferbewegung der Reformationszeit.
„Das Dorf Zollikon am Zürichsee war die Stätte, wo innerhalb der protestantischen Geschichte zuerst versucht wurde, eine staatsfreie und auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende christliche Gemeinschaft zu verwirklichen.“
Freikirchen sind demnach in zweierlei Hinsicht „frei“: Sie sind „staatsfrei“ und beruhen auf „freiwilliger“ Mitgliedschaft. Gelegentlich wird ein dritter Aspekt der Freiheit dazugefügt: Freikirchen finanzieren sich aus den freiwilligen Beiträgen ihrer Mitglieder.

Die freikirchliche Alternative
Insofern waren die Freikirchen, deren tiefste Wurzeln vorreformatorisch (zum Beispiel: Waldenser) sind, eine avantgardistische Bewegung, denn sie orientierten sich an der Gemeinde des Neuen Testaments, einer Gemeinschaft der Gläubigen, die „Gott mehr gehorchen wollte als den Menschen“ und „dem Kaiser“ nur das zu geben bereit war, was ihm aufgrund der Bibel zustand. Diese Auffassungen brachten die jungen freikirchlichen Bewegungen natürlich in einen starken Gegensatz zum Staat und seiner Kirche. Viele Freikirchler – man denke zum Beispiel an die ersten Täufer in Zürich – bezahlten ihre Überzeugungen mit Verfolgung und dem Märtyrertod.
Historisch gesehen haben die heutigen Freikirchen in der Schweiz vier hauptsächliche Wurzeln. Die erste geht zurück auf die Reformation (z.B. Täufergemeinden, Mennoniten), die zweite auf den Pietismus des 17. und 18. Jh. (z.B. Methodisten), die dritte auf die Erweckungsbewegungen des 19. Jh. (z.B. Chrischona, Freie Evangelische Gemeinden) und die vierte auf die pfingstlichen und charismatischen Aufbrüche im 20. Jahrhundert (z.B. Schweizerische Pfingstmission, Vineyardbewegung).

Ausbreitung
Die meisten Freikirchen haben sich im Laufe ihrer Geschichte über ihre geographischen Entstehungsgebiete hinaus ausgebreitet. Das hängt einerseits mit ihrem Missionsbewusstsein zusammen. Andererseits ist diese Ausbreitung jedoch bis ins 19. Jahrhundert hinein durch den Sachverhalt bedingt, dass in vielen Gebieten Europas für Freikirchen kein Existenzraum war. In volks- und staatskirchlichen Systemen, welche keine Religionsfreiheit zuliessen, waren freie christliche Gemeinden nicht vorgesehen. So gehörten freikirchlich gesinnte Menschen zu den Pionieransiedlern in Ost und West, in Osteuropa und Russland sowie in Nordamerika. Die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Situationen in Ost und West haben allerdings zu völlig unterschiedlichen Entwicklungen der Freikirchen geführt. In Nordamerika „trug das Freikirchentum wesentlich zur Herausbildung der modernen pluralistischen und demokratischen Gesellschaft bei. Im Osten hatte die Freikirchen im zaristischen Russland lediglich einen eingeschränkten Spielraum und mussten später im Schatten des Sowjet-Kommunismus um ihr Überleben kämpfen. So entwickelte sich ein marginalisiertes Freikirchentum in einem atheistisch-totalitären Umfeld. Interessanterweise sind im 20. Jahrhundert aus beiden Regionen – Nordamerika und Osteuropa/Russland – wieder wesentliche freikirchliche Impulse zurück nach Europa geflossen: Aus Nordamerika namentlich durch intensive missionarische Tätigkeit nach dem 2. Weltkrieg und aus Osteuropa/Russland durch mehrere Rückwanderungswellen Russlanddeutscher Freikirchlicher nach Deutschland.

Freikirchen in globaler Perspektive
Die Situationen und Charakteristika von Freikirchen in einzelnen Kontinenten und Ländern können hier nicht ausführlich dargestellt werden. Aus europäischer Sicht ist jedoch zu beachten, dass sich Freikirchen ausserhalb Europas in den meisten Fällen in einer völlig anderen Situation befinden. Das Modell der Verbindung von Kirche und Staat, wie wir es in den europäischen Ländern seit 1500 Jahren kennen (Konstantinsches Modell, Corpus Christianum, weitgehende Identität von Christengemeinde und Bürgergemeinde) ist nicht der globale Normalfall. In den meisten Ländern sind alle Kirchen gewissermassen in einer freikirchlichen Situation: Sie konstituieren sich frei, das heisst unabhängig vom Staat und von staatlichen Privilegien. Das hier bekannte und historische gewachsene Nebeneinander von Freikirchen und Volkskirchen gibt es in diesem Sinne nicht, da alle Kirchen nebeneinander als freie Körperschaften existieren. Für die Gesamtwahrnehmung der Freikirchen in globaler Perspektive ist dies deshalb bedeutsam, weil heute die Mehrzahl der freikirchlichen Christinnen und Christen im „globalen Süden“ leben.

Der Beitrag der Freikirchen für die Christenheit
Der Beitrag des Freikirchentums für die weltweite Gemeinde von Jesus Christus kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Diese Kirchen bringen u.a. folgende Kernwerte in das Gespräch der ganzen weltweiten Christenheit ein:
- Eine Sicht für die Universalität der Gemeinde von Jesus Christus jenseits territorialer und nationaler Bindungen und Interessen. Das Freikirchentum fördert ein transnationales Verständnis der Kirche als Leib Christi und kann so einen wesentlichen Beitrag zur Versöhnung der Völker und Rassen leisten.
- Gleichzeitig die Betonung des konkreten, gelebten Christseins in lokalen Gemeinschaften. Freikirchen leben modellhaft gemeinschaftliche Solidarität.
- Die Dimensionen von Beziehungen und Gemeinschaft, sowohl im Verhältnis des Menschen zu Gott, wie auch in den Beziehungen der Kirchenglieder untereinander. Freikirchen sind Beziehungskirchen – es geht um die persönliche Beziehung zu Gott und um die Beziehungen untereinander.
- Mündigkeit, Freiwilligkeit und Verantwortlichkeit des Menschen in Fragen des Glaubens und der Kirchenmitgliedschaft. Glaube kann weder verordnet noch vererbt werden. Daraus ergeben sich auch Werte, wie Glaubens- und Gewissensfreiheit.
- Missionarische Gemeinde – Freikirchen gehen von der „Nichtselbstverständlichkeit“ des Glaubens aus und sind von der Notwendigkeit der Evangelisierung überzeugt.
- Freikirchen sind als „Laienbewegungen“ entstanden und betonen das praktizierte allgemeine Priestertum nach den Prinzipen „jede und jeder trägt mit seiner Gabe zum Wohl der Gemeinschaft bei“, sowie „niemand hat und weiss alles und niemand hat und weiss nichts“.